Die Bezeichnung "Unkraut" hat jemand mal so definiert, es sei Kraut am falschen Platz. Man möchte als Mensch an diesem Platz eben bestimmte Blumen oder Gemüse kultivieren und duldet dort deshalb keine Pflanzen, die man nicht gerufen hat und welche die Kulturpflanzen zu verdrängen drohen. Diese Art der Selektion von pflanzlichem Leben in gewollt und ungewollt hat eine lange menschliche Tradition: so lang wie die Landwirtschaft.
Neueren Datums ist jedoch die strenge Unterscheidung in endemisch (heimisch) und fremd, wobei fremden Gewächsen die Daseinsberechtigung abgesprochen wird. In Neuseeland nimmt das Bestreben nach solcher Ursprünglichkeit für Europäer bisweilen schwer nachvollziehbare Züge an. So hat das Department of Conservation (DOC) z.B. seit Jahren der Douglasie, dem Besenginster und weiteren Büschen und Bäumen den Kampf angesagt. Die Douglasie bildet mittlerweile schöne Wälder, wo vorher kein Baum wuchs, auch kein einheimischer.
Doch diese Wälder sind den Einheimischen ein Dorn im Auge: Kleine Bäume bis 30 Zentimeter werden systematisch ausgerissen, größeren gehen Freiwilligen-Teams mit Hand- und Motorsäge an den Stamm. Immer wieder sieht man ganze Berghänge wie vertrocknet, hier werden hemmungslos großflächig Heribizide ausgebracht. "Spätere Generationen werden es uns danken", sind die Baumfeinde überzeugt.
Die Schaffarmer unterstützen diese Art Kampf gegen Unbaum und Unbusch. Bei einer Farmgröße von 40.000 bis 100.000 Hektar droht die Natur in Form von Büschen und Bäumen den Kampf um freie Grasflächen zu gewinnen – man kann schließlich nicht überall zugleich roden und jäten oder Schafe weiden lassen. Somit besiedelt die Natur schrittweise die kahlen Flächen – das muss verhindert werden.
Vernichtungsfeldzug mit Herbiziden
Nun sind bekanntlich Herbizide gefährlichste Gifte, welche sich im Boden anreichern und noch nach Jahrzehnten erbgutverändernde Wirkungen entfalten oder Krebs auslösen können. "Agent Orange", ein Gift, das von den Amerikanern im Vietnamkrieg zur Entlaubung der Bäume eingesetzt wurde, ist dafür ein bestes Beispiel (das in Neuseeland ansässige Unternehmen Dow Watkins, ein Tochterunternehmen von Dow Chemical, wirkte damals übrigens an der Herstellung des Herbizids mit. Vietnam wurde großflächig verseucht: Karte).
Ich habe noch nicht in Erfahrung gebracht, mit welchen Chemikalien hier heute die teilweise unberührte Natur beglückt wird, vielleicht ergibt sich das ja noch. Interessant wäre mal eine Analyse der Zusammenarbeit von DOC und Dow Chemical, mit ihren zumindest teilweise parallelen Interessen … Ich bin jedenfalls der Meinung, dass man den einen Fehler – dass der Mensch seit 150 Jahren allerlei Getier und Gepflanz nach Neuseeland eingeführt hat – nicht mit einem zweiten Fehler bekämpfen sollte – einem Vernichtungsfeldzug gegen eine Flora und Fauna, die sich mittlerweile schon weitgehend durchgesetzt hat. Dazu zählen auch der Fingerhut, die Lupine oder manch anderes schönes Blümelein aus Europa (siehe Beitragsbild).
Kampf des Sisiphos
In Europa kennen wir das Phänomen auch: von der spanischen Wegschnecke bis zum nordamerikanischen Eichhörnchen oder Waschbären, von der Ambrosia über das japanische Springkraut bis zur kanadischen Traubenkirsche – alles Neozoen bzw. Neophyten. Ich meine, die Natur ändert sich oder wird verändert – das mag schade sein, aber aufzuhalten ist es nicht.
Siehe auch ➥ Massentod im Canyon
Vom Fremdling zum Feind
In den vergangenen Jahren hat die Debatte um Neophyten auch in Deutschland an Schärfe gewonnen. Zweifelhafte Influencer und Kommentatoren treten im Fernsehen auf oder füllen die Social Media Kommentarspalten. Gewächse werden als „Scheiß“ bezeichnet, den man nur rausreißen oder ausrotten könne. Oft wird zum alleinigen Maßstab gemacht, ob sich Insekten an der Pflanze nähren oder nicht. Das tatsächlich massive Insektensterben wird beklagt. Früher als eklig oder lästig empfundene Sechs- oder Achtbeiner werden nun mit übertriebener Begeisterung als niedlich oder wunderschön gefeiert.
Ab 1492 = böse
Dabei hat es in der Natur schon immer Veränderungen und Anpassungen gegeben. Der Mensch hat durch Jagd und Bewirtschaftung eine Kulturlandschaft geschaffen, die im wesentlichen künstlich ist. Seit 1492 Zugezogene nennt man Neobiota, ein zwar historisches, aber willkürlich festgelegtes Datum
Statt Ausländerhass Pflanzenvernichtung
Vielleicht verschiebt sich die zunehmende Migrantenfeindlichkeit, die international um sich greifende Ideologie der nationalen Abgrenzung, psychologisch auf die Pflanzenwelt
Die Debatte zeigt, wie verbissen manche Menschen Ordnung in ein System bringen wollen, das sich unserer Kontrolle entzieht. Vielleicht sollten wir weniger bekämpfen – und mehr verstehen. Die Natur ist kein Museum. Sie lebt, wächst, wandelt sich. Manchmal tut sie das mit uns – und manchmal trotz uns.
320 + 41 Aufrufe – LDS: 09.01.2025
[1] Am 12. Oktober 1492 landete Christopher Kolumbus auf der Insel Guanahani – heute Bahamas. Unrühmlich die Vertreibung der Muslime und Juden aus Spanien im gleichen Jahr – welt.de: Als Muslime und Juden eine Symbiose eingingen. ▲
[2] Der psychologische Begriff lautet „displacement“ oder Verschiebung. ▲
Beitragsbild: Mirke, 2012.