Organisation Zero

Organisation Zero

Der italienische Kellner im Nobel-Café „Casina Valadier“ am Park der Villa Borghese (links) sagt: Rom sei viel toller als Berlin. Dem kann man nur beipflichten. Der Kellner hat schon in London, in Paris gearbeitet und war auch in Berlin, er ist Weltbürger und kennt sich aus. „Leider“, fügt er hinzu, „machen die Römer daraus zu wenig, die Organisation ist schlecht.“ Rom könnte eine reiche Stadt sein, gepflegt, funktionierend, sauber, mit guter Infrastruktur, effizient. Und damit mehr Einnahmen erzielen. Nicht nur eine tolle Stadt für Besucher, sondern auch zum Leben und Arbeiten.

Kollosseum und Konstantinsbogen

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Lange Schlangen vor dem Kolosseum. Private Touristenschlepper versprechen: Skip the Line!

Auch als Tourist hat man seine Erlebnisse mit dem Organisationstalent der Römer. Gerne würde man mehr zahlen für eine Eintrittskarte am Forum Romanum, am Kolosseum, oder für die Vatikanischen Museen – wenn man dann keine 150 Meter lange Warteschlange vor dem Securitycheck hätte (Forum Romanum). Wenn man sicher – und ohne von privaten Tourismus-Anbietern vor Ort übers Ohr gehauen zu werden – auch in die verborgeneren Winkel des Kolloseums käme. Wenn man nicht wie Vieh von Museumswärtern durch ein unüberschaubares Labyrinth getrieben würde („Weiter, weiter, nicht stehenbleiben!“ – Vatikanische Museen). Um erst am Ende, nach Überwindung der kilometerlangen Warteschlange und zwei bis drei Stunden Museumsmarsch in sauerstoffarmer Luft, mit Hunderten anderen endlich die Sixtinische Kapelle zu betreten – das eigentliche Ziel der meisten Besucher.

Warum bekommt man nicht einfach einen Besuchstermin zugewiesen wie im Dresdner Grünen Gewölbe? Warum dieses Gedränge, Gehetze, dieses unübersichtliche und intransparente Hin und Her, der Zwang, an einer Gruppenführung teilzunehmen, die dann nicht funktioniert?

Die Organisation ist ein Problem und auch verantwortlich für die hässlicheren Seiten Roms. Beispiel: die überall überquellenden alten, klapprigen Müllcontainer am Rand der öffentlichen Straßen. Eigentlich verwunderlich, dass keine Rattenherden herumrennen oder Fliegenschwärme um die Behälter brummen. Zwar ist die Idee, den Müll nach Wertstoffarten zu trennen (Glas, Papier, Kunststoffe, Metalle) hier so einfach wie gut umgesetzt, viel besser als im überbürokratisierten Deutschland, wo die Mülltrennung einen Studienabschluss zum Verwaltungsjuristen voraussetzt. Die Leerungen erfolgen aber ganz offensichtlich nicht in dem Takt, der nötig wäre und oftmals nachts zu später Stunde (23-1 Uhr). Die armen Mitarbeiter, die Nachtschicht schieben müssen. Die armen Anwohner sind den Lärm zur Schlafenszeit gewohnt.

Bus- und Straßenplan der römischen Innenstadt

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Kein Plan – und wenn doch, nicht besonders hilfreich.

Grundsätzlich eine gute Idee sind Anzeigetafeln z.B. in Bussen und Straßenbahnen – wenn sie denn funktionieren würden. Das scheint nur in einem von 10 Fällen so zu sein, ansonsten sieht man Striche, lustige kryptische Hyroglyphen, die Anzeige ist ausgeschaltet oder es wird über die ganze Fahrtroute die gleiche Haltestelle als nächste angezeigt, weil entweder der Fahrer vergisst, einen Knopf zu drücken oder dieser eben klemmt. Ansage: auch Fehlanzeige. Einen vernünftigen Übersichtsplan habe ich für das Straßenbahnnetz genauso wenig gesehen wie einen für die zahllosen Buslinien – da half nur der aus dem Reiseführer. Die Namen der Haltestellen versteht man leider auch erst, wenn man den Stadtplan auswändig gelernt hat. Es zählt vorsichtiges Vortasten und Erfahrungen sammeln, die hoffentlich morgen auch noch gelten. Sich an irgendwas schon Gesehenem orientieren und vielleicht die Handyortung aktivieren. Und sich in Geduld üben, denn reguläre Fahrpläne scheint es nicht zu geben. Man wartet eben und kommt schon irgendwie an. Oder fährt nachts ein bißchen hin und her, denn Rom ist nach Sonnenuntergang unerwartet schlecht beleuchtet und die Fensterscheiben sind mit einem schwarzen Gitter beklebt – was tagsüber das Sonnenlicht behindert, die Tram aufzuheizen, nachts allerdings auch den Durchblick.

In der großen Altstadt zwischen Petersdom und Forum Romanum: Zehntausende von Sehenswürdigkeiten, an jeder Straßenecke eine große Kirche mit Werken berühmter Meister, dazwischen weitläufige, fantastische Palazzi und spannende römische Ruinen. Natürlich die weltweit bekannten Sehenswürdigkeiten wie Kolosseum, Forum Romanum, Navona-Platz, Pantheon, Trevi-Brunnen, Spanische Treppe … Welchen Kulturgenuss könnte man daraus machen, wenn besser geworben, besser erklärt, besser geleitet und verständlicher geholfen würde! Doch Rom ist von der Flut seiner fantastischen Altertümer und Kunstwerke überfordert. Dieser konzentrierte Überfluss an Bestaunenswertem lässt das Staunen ersterben, das Außergewöhnliche wird alltäglich, verliert an Wert, in den Augen der Bewohner und der Politiker. Anders kann ich mir den mitunter lieblosen und rauen Umgang mit großartigen Werten nicht erklären.

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Fantastische Räume in der Galleria Doria Pamphilj, großenteils orginal erhalten.

Wir betreten den Ballsaal der Galleria Doria Pamphilj, hinter der Balustrade rechts spielten im Barock die Musikanten. Es scheint noch der schwere Parfümduft jener Zeit in der Luft zu schweben. Hier stehen vor zwei verstaubten Kleiderpuppen kostbare alte Instrumente, wahrscheinlich seit 250 Jahren nicht mehr benutzt: die Harfenseiten gerissen, zu einem Knäuel verbogen. Edel vergoldete Säule und Harfenhals wurden einfach mit einer Eisenschraube neu fixiert, vielleicht vom Hausmeister. Ein Detail, aber auch ein Symbol für mangelnde Sorgsamkeit und Wertschätzung. Fand sich kein Meister für historische Musikinstrumente?

Natürlich gibt es die andere Seite, wenn man etwas abseits der großen Touristenströme … eintaucht, wenn man den Römern Respekt und wenigstens das Bemühen entgegenbringt, auf Italienisch zu kommunizieren. Das Menschliche, das wir Schilder- und Planorientierten Nordeuropäer oft vernachlässigen, ist in diesem Chaos der Dreh- und Angelpunkt. Ohne Fragen, ohne Gespräche, ohne Kontakte wäre man in vielen Situationen aufgeschmissen. Der Mangel an guter Organisation wird fast zelebriert, denn er ist Grund zur Kommunikation, immer ein Aufreger, ein Grund zur Solidarisierung.

Der gemeinsame Seufzer der Fahrgäste in der Linie 8, wenn an der Endstation Piazza Venezia die Türen das zehnte Mal quietschend auf- und zugehen, ohne dass die Tram losfährt. Lachen über nationale und Sprachgrenzen hinweg, als auch das chinesische Paar sich in eine schier unendlich lange Schlange am Forum Romanum einreihen muss und auch der dritte Drängelversuch an der Kasse oder fünf Meter weiter hinten erfolglos bleibt. Norweger, US-Amerikaner ob schwarz oder weiß, Deutsche kämpfen zusammen für eine Preisreduzierung und Rückerstattung am Kolloseum, weil der Anbieter organisatorisch versagt hat und nicht das lieferte, was versprochen war.

Dummerweise haben wir zur Abreise die Flughäfen verwechselt. Der Taxifahrer von Fiumicino nach Ciampino sagt: Touristen verwechseln die Airports oft, für sie seien die Namen ähnlich. Was er nicht verstehen könne (immerhin unterscheiden sie sich in 4 Buchstaben). Aber eine einfache Bus- oder Bahnverbindung gibt es trotzdem nicht. Selbst intensives Fragen führte nur zu einem Sammelsurium verschiedenster Ratschläge, sich widersprechender Angaben und energisch vorgetragener, aber wenig nachvollziehbarer Behauptungen – nichts, auf das man sich in der Not verlassen möchte. Ein schönes Beispiel, dass schlechte Organisation auch nützt: in diesem Fall dem Taxigewerbe. Am Mangel an Transparenz verdienen auch die Reiseanbieter. Nur mit Führung lässt sich das Chaos zurückdrängen und möglichst viel pro Tag sehen und verstehen, wenn man kaum die Sprache spricht und kein mutiger Eroberer ist. Am unverständlichen Fahrkartenautomaten hält ein hilfsbereiter Mitmensch nach seiner guten Tat die Hand auf, „für einen Kaffee, bitte“.

Piazza di Paradiso

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Piazza del Paradiso: Parkverbot im Paradies.

Für Touristen sei Rom prima, aber zum Leben nicht gut, sagt der Taximann. Leben heißt hier Kampf, Kampf um Kleinigkeiten. „Organizzazione Zero“ sagt er mehrfach. Als es vor zwei Jahren schneite, sei die Stadtautobahn 3 Tage lang nicht befahrbar gewesen, alles vereist. Schneeräumung? Zero. Die Autobahn wurde zum Parkplatz. Der Mann muss es wissen, denn er fährt mit vollem Risiko zwischen den Spuren, überholt rechts oder links, zeitweise freihändig und dabei mit Handy am Ohr und mit fast leerem Tank. Ich erzähle ihm, dass das elektrische Licht mal hell und mal weniger hell leuchtet, man sieht die Sprünge, wenn größere Stromabnehmer hinzukommen oder abschalten. In den ersten Tagen kam recht wenig Wasser aus dem Duschkopf, dann plötzlich war soviel Druck da, dass Wasser auch aus dem perforierten Duschschlauch spritzte. „Normal“, sagt er nur, lächelnd. Da könnte er anderes berichten, vor allem aus den weniger schönen Vorortsiedlungen.

17 Aufrufe – LDS: 27.05.2024

 



© Beitragsbild: Foto Mirke, 2018. Jannis Kounellis, Z-44, 1960. Galleria Nazionale d’Arte Moderna, Rom. Hier veröffentlicht in nicht-kommerzieller Absicht gem. Note legali, Abschnitt „Copyright“: „… nur für den persönlichen Gebrauch … verwendet werden, oder anderweitig nichtkommerziell unter Angabe der Quelle“.

Verwendung des PICR-Logos mit freundlicher Genehmigung durch PICR, 19.05.2024.

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