Auge aus Beton – Bauen für die Ewigkeit

Auge aus Beton – Bauen für die Ewigkeit

Durch das „Opaion“ (ὀπαῖον, griechisch für „Rauchloch“, auch lat. Oculus für „Auge“), das kreisrunde Loch mit rund 9 Metern Durchmesser in der Kuppelmitte des Panthenon, strahlt das Sonnenlicht herein, auf die Besuchermassen aus aller Herren Länder und wenige Gläubige, die sich vor dem Altar gegenüber dem Eingang zum Gebet finden. Weil der oströmische Kaiser Phokas [1] „den Tempel, der Pantheon genannt wird“ (templum qui appellatur Pantheum) im Jahre 608 Papst Bonifatius IV. schenkte [2], haben wir heute noch die Gelegenkeit, dieses fantastische Gebäude aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. bestaunen zu können. Der Papst ließ es 609 zur Kirche „Sancta Maria ad Martyres“ umwidmen und erfand am 13. Mai jenes Jahres speziell für das Pantheon den Feiertag „Allerheiligen“ – was dem Ursprungszweck verblüffend nahe kam. Denn „Pan-theon“ heißt übersetzt soviel wie „Allen Göttern“. Die Kirche Sancta Maria ad Martyres war somit kein Götzentempel mehr und entkam der Zerstörungswut christlicher Fanatiker.

© Bildrechte: 6253.1

„Silencio!“ schallt es immer wieder mahnend in das Pantheon-Rund, „Silence please!“. Die wechselnden Besuchermassen sehen mehr das historische Gebäude als den katholischen Sakralnutzen.

Weniger der Zahn der Zeit, als vielmehr noble und weniger noble Plünderer haben dem unter Kaiser Trajan um 114 n. Chr. nach einem Brand wieder errichteten und unter Kaiser Hadrian zwischen 125 n. Chr. und 128 n. Chr. fertiggestellten Pantheon im Lauf der Jahrhunderte Schaden zugefügt. Den Beginn machten die Germanen, die im 5. Jahrhundert mehrfach Rom plünderten: 410 die Westgoten unter Alarich, 455 die Vandalen unter Geiserich, 472 germanische Hilfstruppen unter dem römischen Warlord Ricimer, 546 die Ostgoten unter Totila. Jedesmal wurde alles mitgenommen, was nicht niet- und nagelfest war und einigen Wert hatte.

Dann kam der oströmische Kaiser Konstans II im Jahre 663 zu Besuch. Wer solche Gäste hat, braucht keine Feinde. Denn obwohl sein Vorgänger Phokas das Pantheon ja dem Papst geschenkt hatte, ließ er die vergoldeten Bronzeplatten der Kuppelverkleidung abreißen und nach Konstantinopel schaffen. Konstans II. war auf die weströmischen Päpste nicht gut zu sprechen, man stritt sich heftig über die heute leicht abwegig wirkende Frage, ob Jesus Christus zugleich eine göttliche und eine weltliche Natur besäße (Monotheletismus) oder nur eine göttliche (Monophysitismus). Also schuf der Kaiser gleich mal weltliche Fakten.

Papst Gregor III. reparierte den Dachschaden am Pantheon 735 endlich mit Bleiplatten, der alte Glanz war aber für immer dahin. Und schließlich bediente sich noch Papst Urban VIII. aus der Familie der Barberini: Er ließ 1632 die verbliebenen Bronzeplatten unter dem Pronaos (Säulenvorhalle) entfernen, um daraus 80 Kanonen gießen zu lassen [3]. Dieser Papst hatte es grundsätzlich nicht sehr mit der Menschenliebe: Er ist verantwortlich für das berüchtigte, extrem brutale Massaker an den Magdeburgern durch katholische Truppen am 20. Mai 1631, über das er sich auch noch zufrieden freute, während die damalige Welt vor Schrecken den Atem anhielt.

© Videorechte: 6253.3

Einen guten Eindruck vom antiken Pantheon erhält man ab 26:38 min.

Was muss das Pantheon vor diesen Zerstörungen für ein goldener Prunk gewesen sein! Wer im 2. oder 3. Jahrhundert die runde, wahrscheinlich komplett verkleidete oder zumindest weiß verputzte „Büchse mit goldenem Deckel“ betrat, blickte gegenüber vermutlich auf eine 5 Meter hohe Jupiterstatue (Jupiter = der römische Zeus) – heute ist dort der Altar. In den abwechselnd gerundeten und trapezförmigen Nischen standen vermutlich weitere Götterstatuen zu den Seiten des Jupiter: Sol, Luna, Mars, Merkur, Venus und Saturn [4] (die noch immer die Namensgeber unserer Wochentage sind) sowie eine Statue von Caesar, der zum Gott erhoben worden war [5]. Aus der Luftperspektive muss das Pantheon wie eine goldene Iris mit schwarzer Pupille gewirkt haben, zum Auge ergänzt durch den 60 × 120 Meter messenden Vorplatz aus weißem Travertin.

Was der Zweck des „Golden Eye“ war, ist nicht ganz klar. Es könnte sich um eine reine Anbetungsstätte gehandelt haben. Quellen sprechen aber auch von Gerichtsverhandlungen, die hier stattfanden und von einer Bibliothek, die darin für Kaiser Hadrian eingerichtet worden sei [6]. Möglicherweise wurde das Pantheon als Kaiseraula oder Audienzraum genutzt [7]. Das Pantheon ist jedenfalls Teil eines zusammenhängenden großen Gebäudekomplexes auf dem Marsfeld (siehe unten links).

Die Götterstatuen sind vermutlich spätestens mit der „Umwidmung“ in eine christliche Kirche sämtlich verschwunden und wurden zerstört. Stattdessen richtete man in den Erkern Kapellen und Grabstätten ein, für Maler und Herrscher. Einer dieser Künstler ist Raffael, der die Kuppel des Petersdoms entwarf. Diese ist der Pantheon-Kuppel nachempfunden und nur wenig kleiner. Treppenwitz der Geschichte: Direkt unter Raffaels Kuppel steht im Petersdom (über dem angeblichen Grab von Petrus) der Baldachin (= das Ziborium), den der italienische Künstler Gian Lorenzo Bernini aus der von Brutal-Papst Urban VIII. aus dem Pantheon geklauten Bronze gestaltet hat (wenngleich dies auch nur eine von Papst Urban VIII. erfundene, beschönigende Legende sein könnte, der so lieber den eigentlichen Kanonen-Zweck vertuschen wollte [3]).

Ferner liegt hier der berühmte erste italienische König Vittorio Emanuele II. im Sarkophag, daher ist das Pantheon für viele Italiener noch immer „Wallfahrtsort“ im Gedenken an das Rissortomento (= Vereinigung Italiens zum Nationalstaat im 19. Jahrhundert).

    © Bildrechte: 6253.5

43,30 Meter Durchmesser hat das Rund des Pantheon, es ist innen auch exakt so hoch, somit könnte eine Kugel dieses Durchmessers in den Raum passen. Es war Vorbild für viele klassische Gebäude, darunter die Kuppel im Historischen Museum Berlin, im Berliner Dom, der St. Hedwigs-Kathedrale in Berlin. Das Kongressgebäude in Washington D.C. hat die Kuppel Hadrians zum Vorbild, das Jefferson Memorial in Washington, der Invalidendom in Paris. Ob diese weltgeschichtlich neueren Bauwerke auch so lange halten werden, muss der Langzeittest noch ergeben.

Die erwiesene Haltbarkeit des Pantheon verdankt es römischen Betonkünstlern. Diese besondere Mischung, das „opus caementium“ birgt heute noch Geheimnisse. Denn selbst das Meer konnte dem römischen Beton wenig anhaben, Aluminium im Zuschlagsstoff Puzzolan von den Hängen des Vesuv führte durch Kristallisation mit Salzwasser sogar zu einer noch stärkeren Verfestigung. Im Römerbeton wurden die sehr beständigen Mineralien Aluminium-Tobermorit und Phillipsit nachgewiesen, zu deren Entstehung ansonsten eigentlich sehr hohe Temperaturen erforderlich sind [8].

Heute wird versucht, die Reaktion von Portlandzement mit dem üblichen Zuschlagsstoff Sand eher zu vermeiden. Bekannt ist der sogenannte Betonkrebs, wenn Sand zuviel Kieselsäure enthält, wodurch bei Nässe eine unerwünschte Alkali-Kieselsäure-Reaktion initiiert wird. Im Mai 2009 meldete das Bundesverkehrsministerium, dass etwa 320 Kilometer Betonfahrbahn des deutschen Autobahnnetzes betroffen sind. Davon z.B. alleine in Hessen 79 Kilometer der stark frequentierten Bundesautobahn 5, in Sachsen bzw. Sachsen-Anhalt ist die Bundesautobahn 14 geschädigt [9]. Sowas hätte es mit opus caementium nicht gegeben …


© Bildrechte: 6253.6

Mit Opus Caementium für die Ewigkeit gemauert: Details im Kolosseum.

Die rund sechs Meter dicken Wände des Pantheon wurden mit Caementium-Mörtel und gebrannten Ziegeln gemauert, die Stabilität wird durch gefüllte Entlastungs-Rundbögen verstärkt, die in drei Ebenen übereinander sitzen. Der Bau wirkt von außen zylindrisch wie ein Topf, auf dem ein Deckel sitzt. Weite Teile der Kuppel wurden dann aus Gussbeton gearbeitet, wobei der körnige Zuschlagsstoff immer leichter gewählt wurde, je höher man kam. Es ist das älteste Gebäude aus dieser Art Leichtbeton. Um Kuppelgewicht zu reduzieren, mischten die Baumeister Tuffstein-Brösel hinein. In der obersten Schicht verwendete man den noch leichteren Bimsstein als Zusatzstoff. Bimsstein ist bekanntlich hart, aber durch Gase beim Vulkanausbruch aufgeschäumt und dadurch so leicht, dass er im Wasser schwimmt (➥ Schwimmende Steine). Das Pantheon kommt aufgrund dieser ausgeklügelten Bauweise ohne externe Stützpfeiler aus, die später jahrhundertelang Kirchenschiffe von außen stabilisieren mussten. Gothische Kirchen, die innen filigran wirken, sehen wegen ihrer ausladenden Stützpfeiler äußerlich oft vielarmig und geradezu verschlungen aus wie hässliche Kraken. Das Pantheon jedoch besticht durch seine einfache Geometrie.

© Bildrechte: 6253.7

Das Pantheon von außen.

Einige weitere Tricks halfen dabei, das Gewicht der Kuppel zu verringern. Dazu zählen auch die innen als Verzierung wirkenden Kassetten, deren Sinn nicht nur ein ästhetischer ist, sondern auch einer der Materialersparnis. Und natürlich spart auch das Oculus Gewicht. Die früher wohl vergoldeten und mit Rosetten verzierten Kassetten erinnern ein wenig an die düsteren U-Bahnstationen in Washington D.C., die im Stil des Brutalismus gestaltet wurden (➥ Underground – die Morlocks lassen grüßen). Allerdings ist Opus caementium etwas heller und freundlicher als heutiger Beton und das warme Licht, welches durch das Opaion scheint, gibt der Szenerie auch heute noch eine feierliche, angenehmere Atmosphäre.

© Bildrechte: 6253.8

3 Aufrufe – LDS: 27.05.2024

 



Fußnoten

[1] Phokas könnte man als eine Art Trump des oströmischen Reiches sehen: „Phokas, ein ungebildeter Mann, der sich … Trinkgelagen und Schändlichkeiten jeder Art hingab, war demnach einer jener römischen Kaiser, die jeglicher Eignung für den Thron ermangelten. Binnen kurzer Zeit hatte er, der offenbar wenig Ahnung von den Pflichten eines Kaisers oder von staats- und kirchenrechtlichen Zusammenhängen hatte und sich auch nicht anstrengte, ihnen gerecht zu werden, jeglichen Realitätssinn verloren und glaubte sich von Gott auserwählt. Da er sich durch Verschwörungen bedroht sah, ließ Phokas große Teile der senatorischen Elite hinrichten und fügte auf diese Weise dem oströmischen bzw. byzantinischen Reich kaum wiedergutzumachenden Schaden zu.“ – wikipedia.org: Phokas

[2] wikipedia.org: Pantheon (Rom) 

[3] wikipedia.org: Urban VIII.: „Dass er für Berninis Altarbaldachin über dem Grab des Petrus die noch vorhandene Bronzeverkleidung vom Pantheon entfernen und einschmelzen ließ, ist eine von ihm selbst lancierte Legende“. 

[4] landeskunde-online.de: Pantheon

[5] wikiwand.com: Pantheon (Rom)

[6] wikiwand.com: Pantheon (Rom) – „Der Geschichtsschreiber Cassius Dio erwähnt, dass Hadrian dort Gericht abgehalten habe. Um das Jahr 230 berichtet Iulius Africanus von ‚der schönen Bibliothek des Pantheon, die ich selbst dem Kaiser eingerichtet habe'“. 

[7] goethezeitportalportal.de: Artikel aus Lexika

[8] pubs.geoscienceworld.org: Phillipsite and Al-tobermorite mineral cements produced through low-temperature water-rock reactions in Roman marine concrete

[9] wikipedia.org: Alkali-Kieselsäure-Reaktion


Beitragsbild: Mirke, 2018.

Verwendung des PICR-Logos mit freundlicher Genehmigung durch PICR, 19.05.2024.

6253.1   Mirke (für 2 Panoramafotos), 2018.  

6253.2   Mirke, 2018.  

6253.3   kirubinoYoutube-Terms, 07.09.2021.  

6253.4   Mirke, 2018.  

6253.5   Gemeinfrei gem. §64 UrhG. Entnommen der „Gartenlaube“ v. 1857, 07.09.2021.  

6253.6   Mirke (für 2 Fotos), 2018.  

6253.7   Mirke, 2018.  

6253.8   Mirke, 2018.  


Leave a Comment

Comments

No comments yet. Why don’t you start the discussion?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert