Claus Johansen: Einfach und genial

Claus Johansen: Einfach und genial

Claus Johansen: Hvid galv (1940)

© Bildrechte: 7631.1

  1  

Hvid galv – weißes Haus (1940).

Einige wenige sahen in ihm ein ver­kanntes Genie – andere nur einen „naiven“ Maler, der „keine große Kunst“ geschaffen habe [1]: Der 1877 bei Holbæk geborene dänische Künstler Claus Johansen fand über viele Jahr­zehnte selten Aner­kennung. Erst in den letzten Jahren werden seine Bilder zu begehr­teren Sammler­objekten und finden auf Auk­tionen schnell Käufer, momen­tan werden sie mit bis zu $ 4,098 gehan­delt (2017 für „Landskab mit trægruppe“ = „Landschaft mit Baum­grup­pe“ von 1924) [2]. Dabei ist es ihm in den 20er bis 40er Jahren des 20. Jahr­hunderts wie keinem anderen gelungen, mit wenigen Pinsel­strichen das Typische der Born­holmer Land­schaft einzufangen. Kenn­zeichnend für seine späteren Werke sind ein­fache farbige oder gemusterte Flächen, gerade Linien, grob gebür­stete Gehölz­streifen, farbige Drei­ecke, Romben, Rechtecke für die typischen dänischen Gehöfte.

Claus Johansen: Edge of a wood

© Bildrechte: 7631.2

  2  

Edge of a Wood (?).

Die Abstrak­tion geht nie zu weit, das Gegen­ständ­liche geht nicht verloren. Johan­sens einmalige Inter­pretation der dänischen Insel-­Land­schaft verführt den Be­trachter zu einer neuen Sicht­weise. Nach einem Besuch des sehr empfeh­lens­werten Born­holmer Kunst­museums nahe Gudhjem, wo dem Maler für 12 seiner Gemälde ein eigener kleiner Raum ge­wid­met ist [3], blickt man anders auf Äcker und Wäld­chen, auf allein liegende Bauern­höfe im Sonnen­licht oder auf Farb­spiele der Äcker und Wiesen, kleiner Wäldchen, des Busch­werks und der Ostsee im Hinter­grund. Man entdeckt im Schlichten überall immer neue Motive, auch für die Kamera.

Claus Johansen: Udsigt fra Vang (ca. 1932)

© Bildrechte: 7631.3

  3  

Udsigt fra Vang – Aussicht von Vang (ca. 1932).

Bornholm ragt wie ein Schild aus der See, den die letzte Eiszeit fast konkav geschliffen hat. So kann man auch 10 Kilometer von der Küste entfernt weit hinaus blicken, man schaut im Norden der Insel immer leicht nach unten, ohne dass man es merkt und der „Horizont steht sehr hoch“ [4], was z.B. Niels Lergaard 1937 in seinem „Sonnen­auf­gang“ faszinierte und 1941 in seiner „Grünen Landschaft am Meer“. So entstehen Perspektiven, die es an­ders­wo nicht gibt: Gelbe Kornfelder, dunkle Baumgruppen, davon durch klare Linie getrennt die Ostsee, die an sich schon immer wieder neue Farbspiele bereithält, eine Horizontlinie quer durchs Bild, mal scharf kontrastiert und mal sanft mit dem Himmel verschmolzen.

Claus Johansen: Mark med 4 køer (ca. 1925)

© Bildrechte: 7631.4

  4  

Mark med 4 køer – Landschaft mit 4 Kühen (ca. 1925).

Johansen hat sich einmal beklagt, dass man seine Bilder mit der Fest­stellung kriti­siere, sie ent­hielten zuviel Grau. In einer Zeit, die noch den Impres­sio­nismus ver­daute, der im Extrem nur Komple­mentär­farben kannte, zwischen schrill­farbenem Ex­pressio­nis­mus, Picassos Devise einer radi­kalen Redu­zierung aufs Kubische und den kräf­tigen, groben Farben eines Nolde oder auch Høst, war die Befrem­dung der stu­dierten Künstler­kollegen ver­ständlich – weniger aller­dings ihr Dünkel. Heute erobern Grau- und Anthra­zit­töne die Innen­raum­gestal­tung und so verwundert auch vor diesem Trend das neu er­wachende Inter­esse an Johansen nicht. Johansen wirkt heute moderner als zu seinen Leb­zeiten.

Claus Johansen: Vinter ved Torpebakkerne (ca. 1940)

© Bildrechte: 7631.5

  5  

Vinter ved Torpebakkerne – Winter bei den Torpe-Hügeln (ca. 1940).

Die Insel hat zwei Gesichter – eines zeigt sich bei Sonnen­schein: Kräftige, strah­lende Farben und Kon­traste der Ostküste leuchten wie nir­gends sonst in Däne­mark, heben die Stim­mung [5]. Das andere Gesicht wird von Urlau­bern weniger goutiert oder von ihnen sogar nie erlebt: wenn sich eine dunkle Wolken­decke über die Insel schiebt, Schauer herunter­prasseln und das Licht sich durch einen Grau­schleier kämpft. Außer­halb der sommer­lichen Hoch­saison, im Herbst, Winter, Früh­jahr, sind viele Bilder Johansens ent­standen. Wer diese graue Seite der Ostsee­insel erlebt hat und schätzt, wird vom Purismus des Malers besonders ange­zogen sein.

Claus Johansen: Pløjejord i graavejr (ca. 1930 ?)

© Bildrechte: 7631.6

  6  

Pløjejord i graavejr – Gepflügtes Feld bei Graavejr (ca. 1930 ?).

Bornholms Oluf Høst ist heute der bekann­teste Insel­maler, er bildete den Kern der „Born­holmer Schule“. Er war be­müht, die neuesten künst­lerischen Ten­denzen aufzu­greifen und zu verar­beiten, ließ sich z.B. vom sommer­lichen schwe­dischen Besucher Karl Isakson anregen, der von Gustave Moreau, Eugène Delacroix und Édouard Manet beein­flusst war und sich in Paris mit Werken von Pablo Picasso, Paul Cézanne und Georges Braques vertraut gemacht hatte. Mehr als 200-mal hat Høst seine Scheune „Bognemark“ in Gudhjem gemalt – man könnte darin provin­zielle Beschränk­theit sehen – aber zu allen Jahres- und Tages­zeiten fand er andere Farben und anderes Licht.

Claus Johansen: Roekule - Mulde (1930)

© Bildrechte: 7631.7

  7  

Roekule – Mulde (1930).

Das Motiv wurde bei Høst mit der Zeit immer unwichtiger, der Gegenstand trat hinter dem Ausdruck zurück. Ähnlich auch bei Oluf Rude, der vielfach die gleichen Motive wählte, mitunter einfach den Fensterblick aus seinem Atelier in Allinge. Johansen sah dagegen seine Motive überall draußen, in der Landschaft West-Bornholms, hatte einen Blick für die vom Menschen geformte Natur – selbst ein Heuhaufen   7  , Telefonmasten im Winter   10   oder vier Kühe auf der Weide   4   reichten ihm für ein Öl­ge­mälde. Nicht ein einziges Motiv malte er auch nur zweimal, jedes Bild ein wirkliches Unikat. Sein Blick auf die Welt schult unser Auge, auch im Schlichten, scheinbar Unbedeutenden, etwas Großartiges zu entdecken. Kraftvolle Vereinfachung und Verdunkelung von Form und Farbe schaffen einen dramatischen Raum, in dem menschliche Spuren der Natur ausgesetzt sind [6].

Claus Johansen: Uden Titel (1925)

© Bildrechte: 7631.8

  8  

Uden Titel – Ohne Titel (1925).

Auf Bornholm soll der unehe­liche Sohn eines Fischers ein­sam gelebt haben, er schlief in­mitten seiner Werke auf dem Dach­boden eines Bauern­hauses. Die Distanz zu ande­ren Menschen spiegelt sich in seinen Werken: es gibt keine Porträts oder Akte, mensch­liche Behau­sungen sieht man aus „sicherer“ Distanz, als geo­me­trisches Landschafts­element. Nur aus den 1910er Jahren existieren einige Stil­leben wie „Døt havlit på køkkenbord“ = Meeresfrüchte auf dem Küchen­tisch (ca. 1916), „Opstilling med lys i flaske“ = Stilleben mit Licht und Flasche (ca. 1917), „Laurbærgren i Vase“ – Beeren­schale und Vase (ca. 1918), „Vase og lampe“ = Vase und Lampe (ca. 1919). Schon das traurig wir­kende Bild „Barnevogn in haven“ = Kinder­wagen im Garten (ca. 1905)   9   setzt zwar einen ver­lassenen Kinder­wagen ins Zentrum, aber auch hier kein Mensch zu sehen. Ist der Wagen wirk­lich leer? Man sieht es nicht genau.

Claus Johansen: Barnevogn i haven (1905)

© Bildrechte: 7631.9

  9  

Barnevogn i haven – Kinderwagen im Garten (1905).

Vielleicht war es gerade die Ein­sam­keit Born­holms, die den Maler anzog, der auf Kurz­reisen auch die Natur Schwe­dens und Nor­wegens kennen­gelernt hatte. Um 1930 lebten auf Bornholm nur etwa 45.500 Insulaner, es gab noch kaum Infra­struktur. Erst die neue Fähr­ver­bindung von Kopen­hagen brachte Tou­risten in die Sommer­frische. Viele Bilder machen auch dies deutlich: der Mensch ist hier quasi nicht vor­handen, zeigt sich nur anhand seiner Spuren – Land­wirt­schaft, Gebäude und etwas Technik wie im Bild „Telefonpæle i wintertåge“ = Telefon­masten an Winter­tagen (1937)   10  .

Claus Johansen: Telefonpæle i vintertåge (1937).

© Bildrechte: 7631.10

  10  

Telefonpæle i vintertåge – Telefonmasten an Wintertagen (1937).

Von der Malerei konnte Johansen nicht existieren, er lebte vom Pinsel­verkauf an die Maler­kollegen. Pinsel verkaufte er auch an den „großen“ Høst, der ihn für seinen Mal-Leiden­schaft zwar irgend­wie schätzte, aber nicht wirklich bewun­derte und ihm gütig Leinwand­reste seiner Groß­formater schenkte, auf denen Johansen dann seine klein­forma­tigen Werke schuf, meist sind diese nicht viel größer als A4. Ehrgeiz, sich mit den künstle­rischen Strö­mungen seiner Zeit theo­retisch oder experi­mentell aus­einander­zusetzen, ging ihm völlig ab. Der Auto­didakt machte stur und leiden­schaft­lich sein Ding. Manche Zeit­genossen schienen ihm diese innere Unab­hängig­keit, diese Grad­linig­keit nachzu­tragen. „Claus Johansens Kunst ist vor allem eine für ihn selbst“ urteilte etwa der befreun­dete Maler Eli Rasmussen 1938 [7]. Dabei sehen wir hier bereits einen Indi­vidua­lismus und eine Sach­lich­keit, die erst nach dem 2. Weltkrieg, etwa in den 60er Jahren, auf Interesse stießen: Johansen war seiner Zeit voraus. Nur die Bilder der letzten Jahre (1940-1943) zeigen plötz­lich eine Ent­wicklung: hellere Farben und expressio­nistische Pinsel­striche, das Akri­bische wird auf­gegeben.

Claus Johansen: Landscap (1943)

© Bildrechte: 7631.11

  11  

Landskap – Landschaft (1943).

Viele Werke seiner Zeit­ge­nossen wirken heute be­fremd­lich, uninter­essant, aka­demisch – wie die bemüht geo­metrischen Studien eines Isakson, die er dogmatisch in einem Zuge fertig­stellen wollte oder verwarf, wenn er es nicht im ersten An­lauf schaffte. Picasso wirkt heute wie übrig­geblieben aus einer fernen Zeit, die uns nur noch wenig zu sagen hat. Noldes bomba­stische oder gerade­zu karika­tive Religions­motive oder die Wiki­nger-Werke, mit denen er sich ver­geblich den National­sozialisten an­biederte [8], wirken auf uns heute naiv und unreif – nur einige Blumen­motive, die er ledig­lich zur Verharm­losung schuf, sprechen uns noch an. Johansen dagegen fesselt den heu­tigen Betrachter mit seiner ein­deutigen, ein­fachen, klaren Sicht auf eine Land­schaft, die mitunter erst auf den zweiten Blick ihre Schön­heit enthüllt.

13 Aufrufe


Literatur

(EH) Eva Horwarth: Kunstgeschichte. Malerei vom Mittelalter bis zur Pop-art, ISBN: 3-7701-2700-5.

(KÜ) Das Dänemark der Künstlerkolonien, ISBN: 978-87-88686-42-5.

(CJ) Claus Johansen, hrsg. Bornholms Kunstmuseum og Gudhjem Museum 2007, ISBN: 978-87-89059-78-5.


Fußnoten

[1] Lars Kjærulf Møller zitiert nach web-veggie: Life on an Island in the Baltic Sea

[2] mutualart.com: Claus Johansen

[3] Im Besitz des Museums befinden sich 60 Werke des Künstlers. Ein systematisches Werkverzeichnis gibt es nicht, 250 bekannte Ölgemälde befinden sich verstreut in Privatbesitz. (CJ), S. 7 und 9. 

[4] (KÜ), S. 110. 

[5] Das besondere Licht der Insel wird immer wieder beschrieben und entsteht möglicherweise durch die Reflexion der die Insel umgebenden Ostsee. Vgl. z.B. (KÜ), S. 91. 

[6] Kunstindeks Danmark: Claus Johansen Biography

[7] (CJ), S. 19. 

[8] Vom 12. April 2019 bis 15. September 2019 fand im Hamburger Bahnhof in Berlin die Ausstellung statt: „Emil Nolde – Eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus“. Schwerpunkt der Ausstellung war der Nachweis, dass Nolde nicht nur Mitglied der NSDAP war, sondern aktiver und überzeugter Nationalsozialist und Antisemit. Sein Ruf als „entarteter Künstler“ ist eine Legende, die nach dem Krieg entwickelt und gepflegt wurde und in den Schlüsselroman „Die Deutschstunde“ von Siegfried Lenz eingebettet wurde, dadurch Weltruhm erlangte. 


Beitragsbild: Mirke, 2019.

Verwendung des PICR-Logos mit freundlicher Genehmigung durch PICR, 19.05.2024.

7631.1   Claus Johansen, Gemeinfrei, bearb. v. Mirke (Ausschnitt), 10.11.2019.  

7631.2   Claus Johansen, Gemeinfrei, bearb. v. Mirke (Ausschnitt), 10.11.2019.  

7631.3   Claus Johansen, Gemeinfrei, bearb. v. Mirke (Ausschnitt), 10.11.2019.  

7631.4   Claus Johansen, Gemeinfrei, bearb. v. Mirke (Ausschnitt), 10.11.2019.  

7631.5   Claus Johansen, Gemeinfrei, bearb. v. Mirke (Ausschnitt), 10.11.2019.  

7631.6   Claus Johansen, Public Domain, via Wikimedia Commons, bearb. v. Mirke (Ausschnitt), 10.11.2019.  

7631.7   Claus Johansen, Gemeinfrei, bearb. v. Mirke (Ausschnitt), 10.11.2019.  

7631.8   Claus Johansen, Gemeinfrei, bearb. v. Mirke (Ausschnitt), 10.11.2019.  

7631.9   Claus Johansen, Gemeinfrei, bearb. v. Mirke (Ausschnitt), 10.11.2019.  

7631.10   Claus Johansen, Gemeinfrei, bearb. v. Mirke (Ausschnitt), 10.11.2019.  

7631.11   Claus Johansen, Gemeinfrei, bearb. v. Mirke (Ausschnitt), 10.11.2019.  


Leave a Comment

Comments

No comments yet. Why don’t you start the discussion?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert