Ist Kernfusion die Lösung?
Teil I: Brennstoffe und Strahlung

Ist Kernfusion die Lösung?<br>Teil I: Brennstoffe und Strahlung

Es klingt einfach: Man nehme zwei harmlose Wasserstoff-Atome und verschmelze sie zu einem Helium-Atom, wobei sehr viel Energie frei wird. Mit dieser Energie machen wir Wasser heiß, treiben Turbinen an und erzeugen permanent Elektrizität, nahezu unbegrenzt. Doch was zunächst simpel klingt, entpuppte sich im Laufe der Zeit als immer komplexere und teure Angelegenheit.


Inhalt Teil I: Brennstoffe und Strahlung

Eigentlich war’s doch eine gute Idee
Die Fusion von Isotopen ist effizienter und ergiebiger
Tritium ist knapp, teuer und gefährlich
Erster Reaktor 2028?
Neutronenstrahlung: Wir haben da ein Problem
Am Brutmantel wird noch gestrickt
Bitte noch etwas Öl ins Feuer gießen
Platten sollen Probleme lösen
Die fast vergessene Röntgenstrahlung
Verzögerte und prompte Radioaktivität
Neuartige Legierungen: Weniger Schäden, kurze Halbwertszeiten

Inhalt Teil II (folgt in Kürze)

Möbiusband oder Donut?
Internationale Kooperation
Komplexes Design für den Dauerbetrieb
Mini-Bomben mit Laserzündung?
Bor statt Tritium?
Vakuum, Microwelle und Supraleitung
Wie holen wir die Energie da raus?
Sicherheit
Teure Forschung für zu teure Kraftwerke, die zu teuren Strom liefern?
Und nun?

Zusammenfassung problematischer Aspekte: ➥ Kernfusion: Abschied von Illusionen


Eigentlich war’s doch eine gute Idee 

Wasserstoff finden wir in gebundener Form, Wasser (H2O), massenweise in unseren Weltmeeren; knapp würde der Brennstoff also nie. Man müsste diesen „nur“ z.B. mittels Elektrolyse aus dem Wasser gewinnen. Die Verschmelzung der Wasserstoff-Atome fände in einem Fusionsreaktor in größerem Stil statt, es würden schließlich pro Kraftwerk ca. 5 Gigawatt Energie erzeugt und in Strom gewandelt [1]. Dabei belasteten die Umwelt weder Kohlendioxid noch Stickoxide oder Schwefeldioxid. Primäre Radioaktivität entstünde bei dieser Form der Fusion auch nicht. Wir könnten also sorglos unsere Klimaanlagen hochfahren in einer um 5 Grad heißeren Welt um 2100, müssten keine Angst vor Dunkelflauten oder Abhängigkeit von Ölscheichs und Gas-Diktatoren haben und die Klimakatastrophe käme auch irgendwann zum Stillstand bzw. könnte mit billiger Energie repariert werden [2].

Tatsächlich hat die Fusionstechnik aber ihre Tücken und ob der Preis des Fusionsstroms niedrig sein wird, kann man bezweifeln [3]. Einen Fusionsreaktor zu bauen hat sich als deutlich größere Herausforderung erwiesen, als man vor 75 Jahren annahm. Immer wieder wurde das Konzept geändert, an der Umsetzung gefeilt und selbst beim Brennstoff hat man sich eines anderen besonnen. Man will heute leider nicht einfach – (fast) ohne Nebenwirkungen – Wasserstoff in Helium (und Energie) verwandeln. Die Fusion von Wasserstoff oder Protium (1H + 1H) bräuchte auf der Erde eine Temperatur von über 150 Mio Grad Celsius, technisch (dauerhaft) immer noch außer Reichweite. Zudem ginge der Verbrennungsprozess sehr langsam vonstatten (wie auf der Sonne seit Milliarden von Jahren) und die Energieausbeute wäre vergleichsweise gering [4]. Man verabschiedete sich daher schon Mitte des 20. Jahrhunderts von der Vorstellung, den Fusionsprozess der Sonne auf der Erde 1:1 nachzuahmen und suchte nach Alternativen, mit technisch unangenehmen Folgen. Denn mit jeder Lösung stößt man seit Jahrzehnten auf immer neue gewaltige Herausforderungen und Probleme. Aus einer einfachen Idee (1H + 1H => 4He) entstand eine äußerst komplexe Maschinerie, die noch immer nicht betriebsreif ist [5].

Die Fusion von Isotopen ist effizienter und ergiebiger 

Wie man auch aus Experimenten an Teilchenbeschleunigern weiß, ist eine Fusion von Wasserstoff-Isotopen [6] leichter und effizienter zu bewerkstelligen als mit reinem Wasserstoff. Am leichtesten und mit größtem Energiegewinn gelingt sie mit Deuterium (2H) und Tritium (3H) [7]. Deuterium oder „schwerer Wasserstoff“ kommt in der Natur vor, wenn auch selten: Seine natürliche Häufigkeit beträgt nur 0,0156 Prozent, d.h. 156 ppm [8]. Da die Ozeane aber voller Wasser sind, wird die Deuterium-Gesamtmenge der Erde auf 5·1013 Tonnen geschätzt. Dies ist prinzipiell eine mehr als ausreichende Menge für „sehr viele“ Fusionskraftwerke – man muss das Deuterium „nur“ extrahieren, in einem energieintensiven Prozess [9]. Immerhin ist Deuterium ungiftig und nicht radioaktiv.

Erster Reaktor 2028? 

„Der erste Fusionsreaktor geht in 20 Jahren in Betrieb. Das gilt immer“. Die Fachleute sprechen hier scherzhaft von der „Fusionskonstanten“. In den 1970er Jahren glaubte man kurz vor der Realisierung des Konzepts zu stehen – fehlte nur noch das optimale Design für das magnetische Plasmagefäß. Inzwischen kann man das Magnetfeld im Greifswalder Stellarator 43 Sekunden lang aufrechterhalten, fehlen noch eine bessere Wärmeisolation des Plasmas [10], eine nachhaltige Lösung für die Folgen der Neutronenstrahlung und zum Erbrüten von Tritium. Dennoch sind Mitarbeiter in Greifswald heute überzeugt: „Der erste Fusions­reak­tor kann in 2-3 Jahren in Betrieb gehen“ [11]. Andere Experten gehen von 15 Jahren aus oder mehr [12]. Doch bis der erste kommerzielle Reaktor Fusionsstrom einspeist, wird es wohl 2050/2060 werden [13]. Die aktuelle – wie die vorige Bundesregierung – setzt auf die Fusionsenergie, als könnte es sie schon morgen geben: „Der erste Fusionsreaktor der Welt soll in Deutschland stehen“ [14]. Es mutet seltsam an, dass in vielen Branchen kurzfristiges Denken vorherrscht, in dieser Frage aber seit Jahrzehnten nach dem Prinzip Hoffnung gearbeitet wird.
Das grundsätzliche Problem: Im Bereich der Plasmaphysik gibt es Nicht-Linearitäten, die eine Skalierbarkeit und Reproduzierbarkeit immer wieder in Frage stellen [15]. Dies mussten die Ingenieure erst langsam in der Praxis lernen [16]. Die Randturbulenzen für ITER zu berechnen, ist derzeit z.B. noch immer eine der großen Herausforderungen [17].

Tritium ist knapp, teuer und gefährlich 

Anders sieht es leider bei Tritium aus. „Überschwerer Wasserstoff“ oder 3H entsteht in nur sehr geringen Mengen durch den ständigen Beschuss der Stratosphäre mit „Sonnenwind“ [18]. Tritium entsteht aber auch in verschiedenen künstlichen Prozessen als radioaktives Nebenprodukt, z.B. in einigen Kernreaktor-Typen oder bei Wasserstoffbomben-Explosionen [19]. Es hat eine Halbwertszeit von 12,32 Jahren und zerfällt in stabiles Helium-3 (3He) [20]. Da es so selten ist und relativ schnell zerfällt, ist Tritium sehr teuer: pro Gramm muss man mit bis zu 31.000 € rechnen, zehnmal mehr als für echte, geschliffene Diamanten. Tritium gilt heute als eine der teuersten Substanzen der Welt, nur noch übertroffen von Painit, Californium und Antimaterie [21]. Für eine Jahresleistung im Bereich von Gigawatt bräuchte es etwa 70 Kilogramm Tritium [22].

Für die Betreiber von mit schwerem Wasser moderierten Reaktoren, Druckwasserreaktoren oder auch Thoriumreaktoren könnte sich der Tritium-Verkauf gerade in der Anfangsphase der Kernfusion zu einem sehr guten Geschäft entwickeln, das zudem durch die militärische Aufrüstung weltweit beflügelt wird [23].

Tritium ist ein Betastrahler, es sendet Elektronen und Antineutrinos aus. Antineutrinos haben nach heutigem Kenntnisstand keine Wirkung auf Mensch und Material. Die Elektronenstrahlung (=Betastrahlung) des Tritiumzerfalls lässt sich prinzipiell leicht abschirmen, schon eine Plexiglasscheibe oder eine Schicht aus Polycarbonat reichen als Schutz. Die Strahlung reicht an der Luft in diesem Fall nicht weiter als acht Zentimeter [24]. Gefährlich ist das hochflüchtige Tritium aber, wenn es in den menschlichen Körper gelangt und von den Zellen als „Ersatz“ für normalen Wasserstoff in Erbgut und Enzymen eingebaut wird (➥ Alpha, Beta, Gamma. Unterwegs mit dem Geigerzähler[25]. Zum Schutz der Menschen, die in der Nähe des Reaktors arbeiten, müssen strenge, technisch aufwändige und damit teure Sicherheitsauflagen eingehalten werden. Im Betrieb bringt der Fusionsreaktor schon durch die Wahl des Brennstoffs also ein mehrschichtiges Problem mit sich: Tritium ist knapp, teuer und gefährlich.

Neutronenstrahlung: Wir haben da ein Problem 

In den heutigen Forschungsreaktoren wie dem Stellarator im Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) bei Greifswald (Wendelstein 7-X oder kurz W7-X) finden noch keine (signifikanten) Deuterium-Tritium-Verschmelzungen (DT-Reaktionen) statt. In der aktuellen Forschungsphase verwendet man für das Plasma nur Wasserstoff (1H) oder ein Wasserstoff-Deuterium (2H) – Gemisch und will auch keine Fusionen. Wenn es aber richtig losgeht, bekommen die Betreiber ein ernsthaftes Problem. Denn wenn Wasserstoff-Isotope (Ziel ist ja 2H + 3H) fusionieren, werden „überschüssige“ energiereiche Neutronen (n) freigesetzt (Abb. 2, links).

Die energiereiche Neutronenstrahlung aus der Fusion ist für Menschen gefährlich und nur schwer (und teuer) abzuschirmen [26]. Technisch noch gravierender ist die Materialbeeinträchtigung. Die Wände des Plasma-Gefäßes, die Spulen, die umgebenden zahlreichen hochspezialisierten Geräte (Beitragsbild) wären einem permanenten Hagel aus Neutronen ausgesetzt. Daher geht man in Greifswald davon aus, diese Materialien würden im Betrieb alle 2 bis 3 Jahre „ermüden“ und müssten ausgewechselt werden [27]. Das würde bedeuten: Spätestens alle drei Jahre müssten die Kraftwerke streng genommen abgerissen und im wesentlichen neu erbaut werden. Die betroffenen Materialien wären zwecks „Abklingens“ jahrzehntelang zwischenzulagern – je nachdem, welche radioaktiven Isotope sich gebildet haben [28].

Entgegenwirken will man, indem man die Schutzschicht der ersten Wand des Reaktorgefäßes im wesentlichen aus Wolfram herstellt, erklärt Doktorant Timo Thun in Greifswald [29], und dieses evtl. mit Siliziumkarbid polstert [30]. Wolfram hat einen sehr hohen Schmelzpunkt, wird nicht magnetisiert und gilt als beständiger gegen Neutronenstrahlung. Das seltene und teure Wolfram gilt allerdings auch als sogenannter Konfliktrohstoff, weil sein Abbau in Entwicklungsländern mit Menschenrechtsverletzungen, Korruption und Geldwäsche in Verbindung gebracht wird [31]. Als Zukunftsvision entwickelt Thun die Vorstellung, am besten gleich 10 Fusionskraftwerke zu je 5 Milliarden Euro zu bauen, wobei permanent 3-5 Reaktoren außer Betrieb, weil in der Wartung wären. Nur so könnte man die Grundlastfähigkeit von Fusionskraftwerken sicherstellen, mit der gerne argumentiert wird. Selbst ohne genaue Kalkulation lässt sich abschätzen, dass Fusionsenergie damit wohl zur teuersten Stromquelle des Planeten würde.

Am Brutmantel wird noch gestrickt 

Die energiereiche Neutronenstrahlung könnte zugleich Problem und Lösung sein. Es ist geplant, das Fusionsgefäß mit einem Blanket (engl. für Decke oder Mantel) zu umgeben. In diesen Mantel würde z.B. flüssiges Lithium gefüllt [32], das durch den Beschuss von Neutronen in Helium (4He) und Tritium (3H) zerfällt [33] (Abb. 3). Damit könnte der Fusionsreaktor – wenn er erst einmal läuft – sich den wichtigeren Teil seines Brennstoffs selbst „erbrüten“. Zudem wird bei diesem Brutvorgang weitere Energie in Form von Wärme frei [34].

Nun ist Lithium ein relativ seltenes und sehr reaktives Alkalimetall, dass nur unter kritischen Auswirkungen auf die Umwelt gewonnen werden kann und vor allem zur Herstellung von Akkus für E-Autos dringend benötigt wird [35]. Lithium wird vom Militär (neben Tritium) auch für den Bau und den Unterhalt von Wasserstoffbomben verwendet [36]. Es gibt Schätzungen, wonach die Lithium-Ressourcen der Welt schon 2050 erschöpft sein könnten [37]. Hinzu kommt, dass für die geschilderte Reaktion zunächst nur das Isotop Lithium-6 (6Li) in Betracht gezogen wird, das natürlich mit einem Anteil von nur 7 Prozent vorkommt. Die meisten Forschungsprojekte gehen daher zunächst von einer Anreicherung aus, die wiederum technisch nicht ganz einfach ist [38].

Bitte noch etwas Öl ins Feuer gießen 

Leider ist die „Verwertung“ der Neutronenstrahlung im Blanket nicht verlustfrei möglich. Das bedeutet, nur ein Teil der Neutronen kann genutzt oder abgeschirmt werden, der Rest (vermutlich 5-10%) „entweicht“ [39] (mit den geschilderten Folgen für Mensch und Material). Um trotzdem ausreichend Tritium-Nachschub zu erzeugen, setzt man auf eine zusätzliche sogenannte (𝑛 → 2𝑛)-Reaktion. Dem Lithium-Mantel soll eine geringe Menge an Beryllium oder Blei beigefügt werden. Das giftige Beryllium zerfällt dann durch den hochenergetischen Neutronenbeschuss in Helium und setzt zwei Neutronen mit geringerem Energieniveau frei. Die Energie dieser „neuen“ Neutronen reichte aber für die Lithium-Tritium-Reaktion aus – zumindest für die mit Lithium-6 [40]. Mittels Zugabe von Beryllium hofft man, die Tritium-Brutleistung so steuern zu können, dass immer ausreichend Tritium-„Brennmaterial“ zur Verfügung stehen wird [41]. Obwohl die Neutronenstrahlung also eigentlich ein Problem darstellt, würden am Ende sogar „künstlich“ zusätzliche Neutronen freigesetzt, um den Tritium-Nachschub im laufenden Betrieb zu sichern. Dumm ist halt nur, dass stets ein Teil der Neutronenstrahlung aus dem Blanket entweicht und entsprechenden Schaden anrichtet und dass man diesen Anteil noch künstlich erhöht. Zusätzliche mehrschichtige, mindestens 50 Zentimeter dicke Abschirmungen u.a. aus Bor-Beton werden nötig bleiben [42].

Platten sollen Probleme lösen 

Lithium in flüssigem Parafin

© Bildrechte: 1190.4

Abb. 4: Lithium ist ein leichtes, weiches, silbergraues, hochreaktives Alkalimetall. Hier gelagert in flüssigem Parafinöl.

Wenn man im Blanket flüssiges Lithium verwendete, könnte dieses zugleich die Aufgabe der Kühlung übernehmen. Außerdem wären eine Wartung, die laufende Tritium-Entnahme und die Entnahme von Fremdstoffen technisch einfacher. Flüssiges Lithium wird allerdings durch die starken Magnetfelder ungünstig beeinflusst, denn das Metall ist ein guter elektrischer Leiter [43]. Da flüssiges Lithium bzw. Lithium-Beryllium oder Lithium-Blei höchst reaktiv ist und schon die kleinste Feuchtigkeits- oder Sauerstoffaufnahme schnell Korrosions- und Sicherheitsprobleme schaffen würde [44], setzt man heute eher auf Lithium-Keramikverbindungen (wie Li₂TiO₃ oder Li₄SiO₄). Die einzelnen festen, feinporigen, tonnenschweren Module oder Platten des Blankets sollen dann soviel Lithium-6 enthalten, dass sie für einen längeren Zeitraum nicht ausgetauscht werden müssten. Die Platten könnten zusätzlich von einem Gasstrom (Helium) umspült werden, der das entstehende Tritium aus der Keramik saugt (und zusätzlich die Wärmeenergie abführt). Die Erneuerung der Platten könnte im Rahmen von sowieso erforderlichen Wartungsintervallen automatisiert erfolgen [45].

Selbst das Edelgas Helium, das nach diesem Konzept im ersten Kühlkreislauf zirkulieren soll, bildet unter Neutronenbeschuss übrigens die radioaktiven Isotope 5He bis 8He – meist Isotope mit sehr geringen Halbwertszeiten – die in Lithium zerfallen. Der Fusionsreaktor könnte neben Tritium prinzipiell also auch sein eigenes Lithium erbrüten, dies wird konzeptionell bislang aber nicht berücksichtigt.

Den Forschungsreaktor ITER will man mit Wasser kühlen [46]. Das Tokamak Cooling Water System (TCWS) führt die Wärme über mehrere geschlossene Zwischenkreisläufe des Component Cooling Water System (CCWS) zum offenen Heat Rejection System (HRS) – bestehend aus Kühltürmen und Wasseraufbereitungsanlagen – und gibt sie schließlich durch Verdampfung an die Umwelt ab. Wassernachschub holt man sich aus dem Canal de Provence. Dampfturbinen zur Stromerzeugung werden hier noch nicht angetrieben [47]. Eine der Hauptaufgaben dieses Forschungsreaktors wird sein, die optimale Zusammensetzung des Brutmantels und Kühlungssystems in der Praxis zu ermitteln.

Die fast vergessene Röntgenstrahlung 

Wer den Betriebsraum des Wendelstein X-7 (natürlich außerhalb des Experimentalbetriebs) betritt, wundert sich über die meterdicke Betonabschirmung. Das deckenhohe und 1,8 Meter dicke Beton-Tor zum Reaktorraum wiegt viele Tonnen und kann auf Schienen bewegt werden [48]. In der öffentlichen Debatte bleibt für gewöhnlich unerwähnt, dass in einem Fusionsreaktor im laufenden Betrieb neben der Neutronenstrahlung weitere Strahlungsarten entstehen. Wenn die freien, hochenergetischen Elektronen im 100 Millionen Grad heißen Plasma auf die ebenfalls freien Ionen (Wasserstoff-Atomkerne) prallen, werden die Elektronen abgebremst und ihre kinetische Energie wird als elektromagnetische Strahlung im Röntgenbereich freigesetzt. Man spricht daher auch von Bremsstrahlung. Die Röntgenbelastung liegt aber angeblich unter der „normalen Hintergrundstrahlung“, diese Strahlung werde bereits durch die Stahlwände des Plasmagefäßes ausreichend abgeschirmt [49].

Die „Bremsstrahlung“ ließe sich übrigens selbst bei einer (hypothetischen und ineffizienteren) HH-Reaktion (s.o.) nicht abstellen. Im Gegenteil wären ja für eine Wasserstoff-Wasserstoff-Fusion weitaus höhere Temperaturen erforderlich und damit gäbe es auch mehr Bremsstrahlung [50]. Bremsstrahlung tritt übrigens in geringem Maß auch beim üblichen Beta-Zerfall von Tritium auf.

Verzögerte und prompte Radioaktivität 

Indem Materialien des Reaktors Neutronen „einfangen“ und zu Isotopen werden, wird bei deren potentiellem radioaktivem Zerfall neben Alpha- und Beta- auch Gammastrahlung frei (verzögerte Gammastrahlung). Atome können durch die Neutronenstrahlung auch direkt „angeregt“ werden, nehmen kurzzeitig ein höheres Energieniveau ein und geben beim Rückfall auf das Basisniveau Gammastrahlung ab (promte Gammastrahlung). Je nach Design, Material und Betriebsbedingungen werden in einem Fusionsreaktor in bestimmten Bereichen 1 bis 10 MW thermische Leistung in Form von Gammastrahlung frei. Dies macht eine gesonderte Kühlung der betroffenen Anlagenteile erforderlich. Die Strahlung kann chemische Bindungen schwächen oder aufbrechen, was sich als „Versprödung“ zusammengefassen lässt, zumindest wird die mechanische Belastbarkeit verändert. Die Materialprobleme „potenzieren“ sich also, da neben Folgen der Neutronenstrahlung noch die der Röntgen- und der Gammastrahlung zu berücksichtigen sein werden.

Mehrschichtige Abschirmungskonzepte sollen dafür sorgen, dass die Gammastrahlung in Bereichen, in denen Menschen arbeiten, auf „ein Minimum“ reduziert wird, z.B. durch Beton- oder Bleiabschirmungen. Besonders stark aktivierte Zonen sollen ausschließlich über Roboter gewartet werden.

Neuartige Legierungen: Weniger Schäden, kurze Halbwertszeiten 

Der Umgang mit Strahlung ist eine Herausforderung für die Materialwissenschaften. In den 1990er Jahren wurde beispielsweise ein besonderer ferritisch-martensitischer Stahl entwickelt: Eurofer 97. Auf die übliche Zugabe von Bor wird bei dieser Stahl-Sorte verzichtet, um Versprödung, Spannungsrisse und Quellschäden durch Neutronens und die dann freigesetzte Alphastrahlung („Heliumbläschen“) zu vermeiden. Statt Molybdän, Cobalt, Nickel oder Kupfer werden geringe Mengen an Wolfram, Vanadium und Tantal zugesetzt, um den Stahl zu optimieren. Man vermeidet und reduziert die erstgenannten Elemente, da sie im Neutronenhagel langlebig strahlende Isotope bilden. Wiederholte spezielle Wärmebehandlungen verbessern den Stahl. Der Aufwand hat seinen Preis: Der Spezialstahl für Fusionsanlagen ist 4- bis 8-mal teurer als gewöhnlicher Baustahl mit ca. 650€/Tonne im Juni 2025 [51].

Eurofer wird derzeit an Hochflussreaktoren (z. B. in Petten) und im ITER-Kontext – intensiv auf seine Reaktion unter realistischen Bedingungen geprüft [52].

Letztlich führt aber kein Weg am Austausch der verschlissenen Bauteile vorbei, weshalb eine modulare Konstruktion von Reaktorwand und Blanket vorgesehen ist. Dies soll – zusammen mit moderner Robotik – eine leichtere Wartung ermöglichen.

(Wird fortgesetzt)


56 Aufrufe – LDS: 28.06.2025




Fußnoten

[1] Zur Erzeugung von 5 Gigawatt-Stunden wären nur rund 60 Gramm Wasserstoff nötig. Diese Angabe basiert auf der Energieausbeute der Deuterium-Tritium-Fusion, bei der pro Reaktion etwa 17,6 MeV (Mega-Elektronenvolt) frei werden, was umgerechnet ca. 2,8 × 10⁻¹² Joule entspricht. Man benötigt also ca. 1,8 × 10²⁶ Reaktionen, um 5 Megawattstunden (das sind 18 Millionen Kilojoule) zu erzeugen. 

[2] Professor Markus Roth vom Startup Focused Energy denkt z.B. an das energielastige Recycling von Lithium-Batterien oder Rohstoffen aus Handys oder das „Herausfischen“ von CO2 aus der Atmosphäre. Siehe auch ➥ Klimakrise? Her mit dem ECO Saver! An „Direct Air Capture“ (DAC) denkt auch der Direktor des Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, Thomas Klinger, für die zweite Hälfte des Jahrhunderts – n-tv.de: Potenziell unendliche Energie – Brechen mit der Kernfusion „goldene Zeiten“ an? 

[3] Experten gehen von 20 bis 36 Cent pro kWh aus, die jahrzehntelangen Forschungs- und Entwicklungskosten sind dabei nicht einkalkuliert – diese trägt der Steuerzahler. bundestag.de: Wissenschaftliche Dienste, Sachstand, Einzelfragen zur Kernfusionsforschung, Kosten und Programme. Wie hoch die Kosten tatsächlich sein werden, kann man erst genauer abschätzen, wenn der Fusionsreaktor DEMO läuft, mit dessen Start 2039 gerechnet wird – wikipedia.org: DEMO. Verlässliche Schätzungen der Kosten für Fusionsstrom kann es natürlich noch nicht geben, schreibt z.B. das Forschungszentrum Jülich. „Daher ist es verfrüht zu behaupten, dass durch Fusion erzeugter Strom mit erneuerbaren Energien wettbewerbsfähig sein wird“ – zitiert nach n-tv.de: Wettlauf mit der Zeit – Liefern Fusionsreaktoren früh genug „endlos“ sauberen Strom? Ob Fusionsstrom irgendwann tatsächlich wettbewerbsfähig sein kann, sei momentan nichts anderes als eine „milliardenschwere Wette“ – n-tv.de: Wettlauf mit der Zeit – Liefern Fusionsreaktoren früh genug „endlos“ sauberen Strom? 

[4] „Langsam“ heißt, die Wahrscheinlichkeit für die spontane Fusion zweier Atome ist niedriger als bei den Wasserstoff-Isotopen. gutefrage.net: Warum wird bei der Kernfusion Deuterium und Tritium verwendet?, wikipedia.org: Wendelstein 7-X, dgp-physik.de: Grundlagen der Kernfusion

[5] Genauer betrachtet ist schon die Darstellung 1H + 1H => 4He eine simplifizierte Abkürzung. Die Reaktion in der Sonne läuft eigentlich folgendermaßen in mehreren Stufen ab:
p + p -> D + e+ + ve
D + p -> 3He + y
3He + 3He -> 4He + 2p
Erläuterung: e+ ist ein Positron, ve ein Elektron-Neutrino und y steht für Gammastrahlung. (HZ), 13:00 min. 

[6] Als Isotope bezeichnet man Elemente mit gleicher Protonen-Zahl aber unterschiedlicher Zahl Neutronen im Atomkern. Bei Wasserstoff unterscheidet man Protium (1 Proton, kein Neutron), Deuterium (1 Proton, 1 Neutron) und Tritium (1 Proton, 2 Neutronen). 

[7] In diesem Fall ist „vergleichsweise geringer Druck“ nötig und eine Temperatur von etwa 100 mio Grad reicht aus. derstandard.de: Schlüsselrohstoff Lithium – Ist der Brennstoff für Kernfusion wirklich unbegrenzt vorhanden? 

[8] wikipedia.org: Deuterium. Zum Vergleich: Der CO2-Gehalt der Atmosphäre lag im Jahr 2023 bei 419,55 ⁠ppm – umweltbundesamt.de: Atmosphärische Treibhausgas-Konzentrationen

[9] In der Praxis gewinnt man Deuterium aus gewöhnlichem Wasser durch Elektrolyse oder fraktionierte Destillation. 10 Liter Deuterium kosten heute ca. 209 € – sigmaaldrich.com: Deuterium. wikipedia.org: Elektrolyse: Da Deuterium sehr viel langsamer als Wasserstoff an der Kathode zum Mischgasmolekül Deuteriumwasserstoff reagiert, lässt sich Deuterium elektrolytisch anreichern. 

[10] Im Plasma treten aufgrund von Turbulenzen unerwartet hohe Wärmeverluste auf, ein zentrales Thema in der modernen Plasma-Forschung. Diese turbulenten Wärmeverluste definieren zugleich die Mindestgröße für einen Fusionsreaktor. JET ist zu klein, ITER wird die notwendige Größe von 6,2 Metern Radius erreichen – (HZ), ab 44:20 min. 

[11] (TT). 

[12] Z.B. (FG), 25:22 min. Das Folgeprojekt von ITER namens DEMO soll erstmals Fusions-Strom ins Netz liefern. „Experten rechnen frühestens in den 2040er Jahren damit“ – n-tv.de: Plan der neuen Koalition – Kann Deutschland den ersten Fusionsreaktor der Welt bauen? In Großbritannien hat man sich mit STEP ebenfalls das ehrgeizige Ziel gesetzt, bis 2040 eine Anlage in Betrieb zu nehmen – n-tv.de: Wettlauf mit der Zeit – Liefern Fusionsreaktoren früh genug „endlos“ sauberen Strom? 

[13] (HZ), 1:02:30 min. 

[14] n-tv.de: Plan der neuen Koalition – Kann Deutschland den ersten Fusionsreaktor der Welt bauen?, bmbf.de: Förderprogramm Fusion 2040 – Forschung auf dem Weg zum Fusionskraftwerk

[15] Beispiele für solche nicht-linearen Wirkungen z.B. im Plasmaverhalten sind: Rayleigh-Taylor-Instabilität, Kelvin-Helmholtz-Instabilität. „An seinem Rand wird das Plasma turbulenter und folgt einem nichtlinearen, chaotischen Verhalten, das mit linearen Gleichungen nicht genau berechnet werden kann“ – olcf.ornl.gof: To predict the impact of removing exhaust heat from the ITER tokamak, researchers call on Titan

[16] „Jedes Fusionsexperiment kämpft mit Instabilitäten“, sagt z.B. Professor Markus Roth in einem Interview mit n-tv 2023. Das betrifft die langjährigen Forschungen an internationalen Projekten genauso wie die Startups – n-tv.de: Deutsches Energie-Startup – „Wollen Fusionskraftwerk bis 2038 am Netz haben“

[17] olcf.ornl.gof: To predict the impact of removing exhaust heat from the ITER tokamak, researchers call on Titan 

[18] Unter „Sonnenwind“ versteht man den Strom geladener Teilchen, der ständig von der Sonne in alle Richtungen abströmt – etwa 1 Million Tonnen Material pro Sekunde. Er besteht hauptsächlich aus ionisiertem Wasserstoff (Protonen und Elektronen) sowie zu 8 Prozent aus Helium-4-Atomkernen (Alphateilchen). Außerdem enthält er Spuren von ionisierten Atomkernen der Elemente Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff, Neon, Magnesium, Silizium, Schwefel und Eisen – wikipedia.org: Sonnenwind. In der Biosphäre finden sich ständig ca. 3,5 kg Tritium aus „natürlicher Produktion“, davon zu 99 % in oberflächennahen Schichten der Ozeane, also vergleichsweise sehr wenig. Davon stammt ein erheblicher Anteil noch aus oberirdischen Atomwaffentests der 1960er Jahre – wikipedia.org: Tritium, „Natürliche Herkunft“ und „Verwendung“. 

[19] Tritium entsteht in mit schwerem Wasser moderierten Kernreaktoren, Druckwasserreaktoren oder auch Thoriumreaktoren, als bislang eher seltenes, unerwünschtes Nebenprodukt – wikipedia.org: Tritium, „Nebenprodukt der Kernspaltung“. 

[20] wikipedia.org: Tritium. Bitte beachten: Halbwertszeit heißt nicht, dass in diesem Fall Tritium nach 24 Jahren vollständig zerfallen ist. Die noch strahlende Menge halbiert sich alle 12,32 Jahre – das heißt sie wird zwar immer geringer. „Weg“ ist das strahlende Tritium aber theoretisch nie. 

[21] ingenieur.de: . Gaßner spricht von 24.000-30.000 € je Gramm – (JG110), 32:10 min. Die Preise schwanken sicherlich. 

[22] (JG110), 0:50 min. Wollte man den Jahresbedarf an Tritium für einen Reaktor einkaufen, müsste man für die 70 kg nach heutigen Preisen 2,17 Milliarden € „hinblättern“. Um diese Menge aus Lithium im Blanket zu erbrüten, werden etwa 1.867 natürliches Lithium benötigt (das benötigte Lithium-6 ist darin nur zu einem Anteil von 7,5% enthalten). Diese Lithiummenge kostet heute 14.323 € – die Kosten für Anreicherung bzw. Isotopentrennung kommen dazu. 

[23] Derzeit sind 303 von etwa 420 Reaktoren weltweit Druckwasserreaktoren (DWR), 47 sind Schwerwasserreaktoren – wikipedia.org: Kernenergie nach Ländern; kernd.de: Reaktortypen zur Stromerzeugung. Isotopentrennung ist aufwendig und teuer, lohnte sich bei den genannten Tritium-Preisen aber dennoch. 

[24] Die beim Betazerfall von Tritium auftretende Betastrahlung gilt als relativ energieniedrig. Dagegen reicht die Betastrahlung von zerfallendem Phosphor-32 (32P) etwa 7 Meter weit – wikipedia.org: Betastrahlung, Strahlenschutz.  

[25] Als besonders gefährlich gilt die Aufnahme von T2O oder HTO (Tritiumwasser), da Wasser im Körper eine besondere Rolle spielt. Reines Tritium wird überwiegend schnell ausgeschieden, Tritiumwasser aber nicht. Als Risiken gelten die Zerstörung von Zellgewebe, Erbgut, Krebs – wikipedia.org: Tritium, Sicherheitshinweise. Tritium muss für Jahrzehnte weit mehr als luftdicht aufbewahrt werden, denn es diffundiert (durchdringt) selbst Edelstahl- oder Aluminiumbehälter – nucleus.iaea.org: Tritium Transport, Permeation, and Control

[26] Da die Neutronen elektrisch neutral sind, können sie sehr tief in den Körper eindringen. Beim Zusammenstoß mit Wasserstoff im Gewebe entstehen Rückstoßprotonen, die ihrerseits stark ionisierend wirken, und Gammastrahlung. Die Wirkung ist daher ähnlich wie bei Gammastrahlung, allerdings ist die Wahrscheinlichkeit für Schäden bei gleicher Dosis höher. Zur Abschirmung können Wasser, Polyethylen oder Paraffin helfen. Um Neutronen gänzlich einzufangen, verwendet man anschließend Absorber wie Bor oder Cadmium. Die dabei entstehende Gammastrahlung erfordert wiederum einen Schutz aus Blei oder Beton – weltderphysik.de: Strahlung und ihre Wirkung auf den Organismus

[27] (TT) – anders als beispielsweise Hartmut Zohm, der fast nebenbei einen illusionären Zeitraum von 50 Jahren als Kraftwerkslaufzeit nennt – (HZ), 39:00 min. Neutronen werden vom umgebenden Material „eingefangen“, es entstehen Isotope mit ggf. abweichenden Eigenschaften. Einige dieser Isotope sind nicht stabil, so dass Alpha-, Beta- und Gammastrahlung frei wird. 

[28] Mit „Abklingen“ ist die Phase des radioaktiven Zerfalls bezeichnet, in der die Stoffe ihre Strahlungskraft bis zur „Unbedenklichkeit“ verlieren. Man geht davon aus, dass 10% des Abfalls für 100 Jahre und länger endgelagert werden müssen – n-tv.de: Energiequelle der Zukunft? So funktioniert Kernfusion

[29] (TT). 

[30] n-tv.de: Deutsches Energie-Startup – „Wollen Fusionskraftwerk bis 2038 am Netz haben“

[31] Ein Kilogramm Wolfram kostet im Block etwa 23,90 Euro, inklusive Versand – de.phongnhaexplorer.com: Wie viel ist Wolfram pro Kilo wert? Wikipedia.org: Wolfram. Wolfram gilt als das „härteste Element der Erde“ – olcf.ornl.gov: To predict the impact of removing exhaust heat from the ITER tokamak, researchers call on Titan, The toughest element on Earth. 

[32] Da heißes und flüssiges Lithium hochreaktiv ist und ein hohes Sicherheitsrisiko darstellt, wird auch über eine keramische Lithiumverbindung (Oxid, Carbonat oder Silikat) nachgedacht oder unbewegtes Blei-Lithium. Das Blanket würde dann über einen zusätzlichen Kreislauf aus Helium oder Wasser verfügen müssen, zur Entnahme des Tritiums und zur Kühlung – wikipedia.org: Blanket, Technische Blanketkonzepte.
Wenn Lithium mit Wasser in Kontakt kommt, reagiert es explosionsartig zu Wasserstoff (H2) und Lithiumhydroxid (LiOH). Um die Gefahr einer „Knallgas“-Explosion zu vermeiden, muss Wasserstoff permanent aus dem Blanket extrahiert werden, denn eine 100%ige Freiheit von Luftfeuchte ist nicht erreichbar. Lithiumhydroxid ist eine starke Lauge und greift Metalle an. Auf der Haut kommt es zu schweren Verätzungen. Lithium reagiert aber auch mit dem Sauerstoff der (trockenen) Luft langsam zu Lithiumoxid (Li2O). 

[33] Formel: 6Li + 𝑛 → 4He + 𝑇 + 4,8 MeV. 

[34] Der Brutmantel für den Versuchsreaktor ITER wird vom europäischen ITER-Team in München-Garching unter maßgeblicher Beteiligung des Forschungszentrums Karlsruhe entwickelt – spektrum.de: Brutmantel

[35] k-online.de: Szenario 2050: Lithium und Kobalt könnten knapp werden

[36] kernenergie.technology: Wasserstoffbomben. „Unterhalt“ hier insofern, als dass Tritium eine Halbwertszeit von 12 Jahren, 21 Stunden, 3 Minuten und 36 Sekunden besitzt. 

[37] Der Gesamtvorrat von Lithium auf der Erde wird auf gut 29 Mio Tonnen geschätzt – wikipedia.org: Kernfusionsreaktor, Vorkommen und Beschaffung. Lithium kommt hauptsächlich in Australien, Chile und China vor, wobei Chile mit rund 9 Millionen Tonnen die größten bekannten Reserven besitzt – statista.com: Weltweite Reserven an Lithium in ausgewählten Ländern im Jahr 2024. Vgl. auch n-tv.de: Neue Akku-Typen gefragt
Schon 2030 könnte das Lithium für E-Autos knapp werden
.  

[38] Für das Blanket kommen somit aus den weltweiten Vorräten zunächst nur gut 2 Mio Tonnen Lithium wirklich in Betracht. Prinzipiell könnte man mit den energiereichen Neutronen aus der DT-Reaktion auch das häufigere Lithium-7 (7Li) zerschießen. Dies ist jedoch eine endotherme Reaktion (exotherm = bei der Reakton wird Energie frei, endotherm = zur Reaktion wird Energie benötigt). D.h. ein Teil der Energie, die beim Zerfall von 6Li frei würde, würde für die 7Li-Reaktion verbraucht (zudem entsteht weitere Neutronenstrahlung). Es müsste sichergestellt werden, dass die Neutronen nicht durch die Wandung des Plasmagefäßes verlangsamt werden. Im Blanket müssten energetisch günstige Bedingungen geschaffen und konstant gehalten werden, damit beide Isotopreaktionen koexistieren könnten. Erforderlich wäre ein hochpräzises Zusammenspiel von Materialauswahl, thermischer Regulierung und neutronischer Steuerung.

Die Formeln:
n + ⁷Li → ⁴He + ³H + n′ (-2,5 MeV)
n + ⁶Li → ⁴He + T (+4,78 MeV)

anthrowiki.at: Lithiumfusion.
Zur Anreicherung kennt man das Gasdiffusionsverfahren, Zentrifugenverfahren, Laseranreicherung und die elektromagnetische Trennung. Alle Prozesse verschlingen viel Energie, im Falle von Uran sind es bis zu 2.000 KWh je Tonne (je Verfahren unterschiedlich) – wikipedia.org: Urantrennarbeit

[39] wikipedia.org: Kernfusionsreaktor, Tritiumbrüten und Neutronenvermehrung. 

[40] Die Formel:
9Be + 𝑛 → 4He + 2𝑛 (-1,57 MeV)

wikipedia.org: Blanket, Neutronenvermehrung. 

[41] Beryllium gilt als allergiefördernd und seit 2013 als krebserregend – wikipedia.org: Beryllium, Sicherheitshinweise. Das seltene Erdalkalimetall kann je nach Reinheit um die 1.000 €/Gramm kosten – z.B. in Form von Draht (0,125 mm oder 0,25 mm) – institut-seltene-erden.de: Aktuelle Preise von Sondermetallen

[42] Die Wände der Torushalle in Greifswald sind etwa 1,8 Meter dick und aus boriertem Stahl – wikipedia.org: Wendelstein 7-X. Mehrschichtige Abschirmungen bestehen aus einem H-haltigen Moderator (z. B. 30–50 cm Polyethylen), thermischem Absorber (Bor-doped Polyethylen oder Boron-Carbid-Platten) und Gammaschutz (dickes Blei, Eisenbeton). Erfahrungen mit solchen Aufbauten gibt es in Kernforschungsanlagen oder in medizinischen Einrichtungen, wo je nach Neutronen­energie Gesamtdicken von 50 cm bis mehreren Metern Beton üblich sind. In Greifswald findet man diese Sicherheitsvorkehrungen, obwohl eigentlich keine Fusionsreaktionen geplant sind. Dennoch können diese in geringem Maße auftreten, denn im Bereich der Kernphysik ist alles „statistische Grauzone“ und nicht schwarz-weiß.

Die „Hülle“ um den Torusraum besteht aus Bor-Beton. Das Bor gilt als guter Neutronenabsorber: Durch Neutroneneinfang wandelt sich 10Bor überwiegend zu 7Lithium, wobei allerdings Alphastrahlung freigesetzt wird. Diese kommt im Betonmantel aber nicht weit, es entsteht Wärme. Zu einem geringen Anteil wird im Schutzmantel auch Gammastrahlung freigesetzt, die aber ebenfalls durch die Betonhülle ausreichend abgeschirmt werden soll. Man geht derzeit davon aus, dass das hochreaktive Lithium nur in geringen Mengen entsteht und vom Beton gebunden wird. Ein zweites Lithium-Brut-Blanket würde sich wohl nicht lohnen – wikipedia.org: Neutroneneinfang

[43] Zeitlich veränderliche Magnetfelder induzieren Wirbelströme, was zu Lorentz-Kräften, Erwärmung und mechanischen Spannungen führt. In flüssigem Lithium – etwa als Blanket in Fusionsanlagen – werden diese Effekte noch stärker: starke Magnetfelder bremsen die Strömung, verändern die Wärmeübertragung und erzwingen aufwändige magnetohydrodynamische (MHD) Designs – greelane.com: Tabelle des elektrischen Widerstands und der Leitfähigkeit

[44] Für den Transport muss Lithium völlig trocken und luftdicht z.B. in Paraffinöl oder unter Edelgas wie Argon aufbewahrt werden. Gefährlich könnten auch Entladungen statischer Elektrizität sein, daher muss Lithium antistatisch verpackt und der Behälter geeerdet sein. Für die Lagerung wird ein kühler Raum benötigt, es gibt umfangreiche Sicherheitsvorschriften. 

[45] Auch diese Keramikplatten „ermüden“ durch den Neutronenbeschuss mit der Zeit. Ermüdung heißt auch hier: Es entstehen Isotope mit anderen Eigenschaften, die teilweise radioaktiv zerfallen und die Ausgangsmaterialien zerstören.
Wenn das Lithium aus der Keramik herausgelöst wird, entstehen stabiles Titandioxid (TiO2) oder Siliciumdioxid (SiO2), ein harter und spröder Isolator. Durch die Neutronenstrahlung können die Platten defekt werden, Helium-Atome können Blasen im Nanobereich bilden und das Material verspröden. Durch Neutroneneinfang können sich ferner Silicium- oder Titanisotope bilden, die nicht radioaktiv sind. TiO2 kann durch Neutronenbeschuss geringe Mengen Vanadium bilden, SiO2 kann lokal Phosphor enthalten. Vanadium kann durch Neutroneneinfang Isotope bilden mit Halbwertszeiten von etwa 6 Sekunden bis 4 Minuten, es entsteht stabiles Chrom. Die Halbwertszeiten der Phosphor-Isotope 32P, 33P und 34P liegen zwischen etwa 12 Sekunden und 25 Tagen, durch Zerfall entsteht stabiler Schwefel. 

[46] (JG), 25:10 min. 

[47] iter.org: Cooling water

[48] helmholtz.de: Kernfusion – Der Spätstarter 

[49] Üblicherweise wird zur Abschirmung von Röntgenstrahlung ein Element mit hoher Ordnungszahl wie Blei benötigt, daher tragen Radiologen Bleischürzen. Die Röntgenstrahlung aus dem Plasma gilt aber als nachrangiges Problem, da der Torusraum während des Betriebs wegen der Neutronenstrahlung sowieso nicht zugänglich ist. 

[50] Grob gesagt: Verdoppelt man die Elektronentemperatur, erhöht sich die Bremsstrahlung um den Faktor 1,41 – (JB), (FC). Im konkreten Fall von 150 mio Grad statt 100 mio wäre also mit einer Zunahme um den Faktor 0,705 zu rechnen. 

[51] stahlpreise.eu: Aktuelle Betonstahl- und Schrottpreisentwicklung je Tonne (1.000 kg)

[52] Eurofer ist eine Stahllegierung, die Chrom, Vanadium und Wolfram enthält. Die Halbwertszeiten evtl. durch Aktivierung entstehender Isotope sind vergleichsweise kurz. So kann aus gewöhnlichem Chrom das Isotop 51CR entstehen, mit einer Halbwertszeit von 27 Tagen. Vanadium bildet durch Neutroneneinfang beispielsweise 48V mit einer Halbwertszeit von knapp 16 Tagen – periodensystem-online.de: Das Periodensystem der Elemente online. Wolfram kann zu 187W werden, mit einer Halbwertszeit von etwa 24 Stunden. Es entsteht daraus 188Rhenium mit einer Halbwertszeit von etwa 17 Stunden. 


Beitragsbild: Mirke, 2025. Blick in den Stellarator-Raum am Max-Planck-Institut in Greifswald am 17. Januar 2025.

1190.1   Dirk Hünniger, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons, 04.05.2025.  

1190.2   Wykis (talk · contribs), Public Domain, via Wikimedia Commons, 04.05.2025.  

1190.3   Mirke, Vortrag von Timo Thun in Greifswald, 17.01.2025.  

1190.4   OpenStax, CC BY 4.0, via Wikimedia Commons, 05.05.2025.  


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